Kapitelübersicht
Bei einer Aufzählung der interessantesten und eindruckvollsten Begräbnisstätten Europas findet sich der Johannisfriedhof stets unter den ersten drei: Im gleichen Atemzug werden der Prager Judenfriedhof und der Wiener Zentralfriedhof genannt. Die Anziehungskraft des Friedhofs hat viele Gründe. Neben dem speziellen Reiz der streng axial ausgerichtet liegenden Grabsteine ist hier die kunsthistorische Bedeutung zu nennen, die in der Ausgestaltung der Epitaphien sowie der Ausstattung der Johanniskirche und der Holzschuherkapelle fassbar wird.
Das Jahrhundert nach der Einschleppung der Pest nach Europa (1347/48) ging als Zeit der „großen Sterb“ in die Annalen der Stadt ein. Seit jener verheerenden ersten Pestwelle forderte der schwarze Tod auch in Nürnberg immer wieder seinen Tribut, so in den Jahren 1374,1437, 1462 und 1468. In diesen Pestzeiten hatte sich der Rat der Stadt bereits beholfen, die Toten außerhalb der Stadt begraben zu lassen. Hierzu bot sich ein Geländestreifen im heutigen St. Johannis an, der sich in direkter Nachbarschaft des Friedhofes für den Siechkobel befand.
Im Jahr 1395 wurde auf Betreiben des Rates östlich der Johanniskirche ein Pestfriedhof mit einer kleinen, dem Pestheiligen Stephanus geweihten Kapelle eingerichtet. Nach kurzer Zeit gelangte man aber schon wieder an die Kapazitätsgrenzen und bereits 1427, 1437 und 1457 waren Erweiterungen notwendig. Durch diese Erweiterungen rückten die beiden Bestattungsareale, Pestfriedhof und Siechkobelfriedhof, näher zusammen.
Aufgrund der Prophezeiung einer bevorstehenden neuen Pestepidemie beschloss der Rat am 8. November 1518 eine erneute Erweiterung des Johannisfriedhofes für die Toten der Sebalder Seite. Gleichzeitig wurde mit der Errichtung des Rochusfriedhofes für die Toten der Lorenzer Seite begonnen. Die mit diesen Beschlüssen verbundene Schließung der Lorenzer und Sebalder Kirchhöfe stieß bei der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe, da man sich so nahe wie möglich an oder in der Kirche beerdigen lassen wollte. Damit war Nürnberg eine der ersten Städte, die aus seuchehygienischen Gründen die Friedhöfe vor die Mauern der Stadt verlegte.
Diese verwaltungstechnische Teilung zwischen Lorenzer und Sebalder Seite der Stadt erklärt auch, warum sich auf den Bronzeepitaphien des Rochusfriedhofs überwiegend Handwerkszeichen befinden, auf dem Johannisfriedhof neben den Handwerkergräbern viele Patrizierwappen auffallen. Die Sebalder Stadthälfte war traditionell schon immer die „vornehmere Wohngegend“.
Ursprünglich waren die liegenden, sargähnlichen Grabsteine ein Vorrecht der gehobenen Nürnberger Bürgerschaft, dann aber erlaubte der Rat 1520 zunächst dem Ratsherrn Sigmund Fürer und mit ihm allen Patriziern ihr Grab mit einem solchen Stein zu schließen. Jedoch erreichte die gesamte Bürgerschaft noch im gleichen Jahr zumindest im Tod die Gleichstellung mit der patrizischen Oberschicht.
Vom Rat der Stadt Nürnberg wurde verordnet, dass die Einheitlichkeit der Bürgerschaft über den Tod hinaus durch größengenormte und in gleicher Ausrichtung angebrachte Grabsteine dokumentiert werden sollte. Damit wurde es zur Regel, nur liegende Grabsteine aus Sandstein anzubringen. Die Gleichbehandlung aller Stände wurde auch durch eine Größenvorgabe für die Steine von maximal drei zu sechs Nürnberger Werkschuhen (83,52 cm : 167,04 cm ) erreicht. Die Einhaltung der Maße kontrollierten die Steinschreiber. Zu diesem Zweck ist heute noch ein Normmaßstab an der südwestlichen Außenwand der Holzschuherkapelle eingelassen. Freilich wurde im Laufe der Jahrhunderte auf die korrekte Einhaltung immer weniger Wert gelegt. Die Gründe sind vielfältig.
Als Nachfolgeamt der früheren „Steinschreiberey“ ist heute die evangelische Friedhofsverwaltung St. Johannis und St. Rochus im Steinschreiberhaus untergebracht. Nach 300 Jahren verwaltungstechnischer Trennung der beiden Stadthälften im Bezug auf Bestattungsangelegenheiten wurde jene Trennung 1821 aufgehoben. In der Südostecke des Erdgeschosses im Steinschreiberhaus befindet sich die Amtsstube mit einer einfachen Holzvertäfelung, im Obergeschoss eine Dienstwohnung. Die Türen weisen zum Teil noch die Originalbeschläge aus
Durch die Größenverordnung der Möglichkeit zur individuellen Gestaltung der Gräber beraubt, suchte man diesen Wunsch durch verschiedenartige Bronzegussplatten (Epitaphien) zu kompensieren. Diese werteten jeden der schmucklosen Grabsteine zu einer individuellen Ruhestätte auf. Wie aufgeschlagene Seiten der Nürnberger Sozialgeschichte geben sie dem Friedhofsbesucher einen Einblick in das Leben, Sterben und die Einstellung zur eigenen Sterblichkeit früherer Jahrhunderte.
Die Herstellung der Epitaphien kam nach Material (Bronze oder Messing) und Technik grundsätzlich dem Handwerk der Rotgießer zu. Jedoch waren sie bei aufwendigen Epitaphien beim Entwurf und Modell auf die Mithilfe von Bildschnitzern angewiesen. Obwohl die Bronzegüsse im 16. Bis 17. Jahrhundert hinein nicht signiert wurden, lassen sie sich dennoch recht eindeutig den führenden Rotgießern jener Zeit – allen voran Peter Vischer d. Ä., seinen Söhnen, seinem Schwiegersohn Pankraz Labenwolf sowie dessen Nachfolger Benedikt Wurzelbauer zuordnen. Durch die seit dem 17. Jahrhundert allmählich aufkommende Gewohnheit, die Epitaphien zu signieren, lassen sich mehr als 80 Meister nachweisen.
Die Kreuze über den Personen zeigen, dass diese bei der Errichtung der Tafel im Jahre 1589 bereits 5 gestorben waren.
Neben eher unbekannten Meistern des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts wie Georg Schweigger, Sebastian Denner oder Friedrich Hinterhäusl tritt der mit „JW“ signierende Jakob Weinmann auch durch seine enorme Produktivität von mehr als 200 Epitaphien auf dem St. Johannis- wie auf dem St. Rochusfriedhof in den Vordergrund. Für das 19. Jahrhundert ist der bedeutsame Bildgießer Jakob Daniel Burgschmiet zu nennen. Heute führt die Kunstgießerei Lenz in der Burgschmietstraße die alte Rotgießertradition fort.
Insgesamt haben sich auf dem St. Johannisfriedhof auf rund 1.600 Grabsteinen jeweils ein oder mehrere Epitaphien erhalten, welche jetzt unter Denkmalschutz stehen. Traditionsbewusst achtet man bei der Neuvergabe von Gräbern stets darauf, dass die alten Tafeln aus reichstädtischer Zeit auf den Gräbern belassen werden und nur zusätzlich ein Epitaph für die Neubelegung angebracht werden darf. Durch diese Verordnung, die heute alle Epitaphien bis zur Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert schützt, lässt sich die Grablegung oftmals lückenlos bis in frühere Jahrhunderte zurückverfolgen.
Der St. Johannisfriedhof umfasst etwa 6.500 Gräber, wobei 70 davon als gemauerte Grüfte angelegt wurden, die jedoch nicht begehbar sind. Grundsätzlich kann jedes freie Grab heute angemietet werden. Eine Ausnahme bilden nur 20 Gräber, die die Stadt Nürnberg in Gedenken an die verstorbenen Prominenten erworben hat.